Freitag, 8. März 2013

Du hier bleiben

Ganz oft ist es gut in der Ferne zu sein und zu leben. Den Schritt gewagt zu haben, die Abnabelung durchgezogen, zum zweiten Mal im Leben.

Als man damals ging, aus dem Elternhaus, um die Welt zu erobern, war es ein ganz anderes Gehen. Es war selbstverständlich, es wurde nie die Frage gestellt, ob man gehen sollte, höchstens wohin. Wo fange ich an, mein eigenes Leben zu gestalten, wo treffe ich meine ersten ganz eigenen Entscheidungen. Und wenn man dieses WO gefunden hat und es sich zu seinem DA gemacht hat, mit allem was dazu gehört, der Zigarettenverkäufer um die Ecke, der sich schon zu den richtigen Zigaretten umdreht, wenn man die Tür aufmacht und er bei einem Blick ins Gesicht erkennt, heute abend auch ein Bier zu den Zigaretten. Der Gemüsemann, der immer etwas nettes sagt, auch wenn man nur vorbei geht. Alle Wege für sich selbst erlaufen hat und sie in die Füße gewandert sind, so dass man sie auch laufen kann, wenn man nachts leicht angetrunken aus der Stammkneipe stolpert und sich am nächsten Morgen beim besten Willen nicht mehr erinnern kann, wie man nach hause gekommen ist, aber die Füße wussten den Weg. Alle Freunde, die man gefunden hat, was nicht immer einfach war, zu erkennen, dass sie die Seelenverwandten sind, aber als man es erkannte, so froh war. Die Familie, die auch da ist (nachgezogen, in mein DA). Die Morgen, die Mittage, die Abende und alle Nächte. Die Gerüche und die Geräusche. Alles so vertraut.

Und wenn man sich dann entscheidet das alles zu verlassen, dann überlegt man sehr gut. Das ist eine schwere Entscheidung, das eigene DA aufzugeben, um ein neues WO zu erkunden. Sich trauen, herauszufinden, wo kaufe ich dort meine Zigaretten, wo gehen meine Füße denn dann nachts hin, wenn sie doch noch den alten Weg in sich tragen? (Am besten am Anfang nicht zu viel Alkohol trinken, nur zur Sicherheit). Wenn man alle Für und Wider abgewogen hat und sich entschieden hat: ich gehe, dann ist das den großteil der Zeit aufregend und gut und neu und interessant und manchmal schwierig und manchmal ein bisschen einsam. Aber meistens ist es gut und man ist froh über seine Entscheidung. Man verlässt zwar alles, aber man weiß, dass es ja noch da ist da, nur weil man selbst fortgeht, heißt das ja nicht, dass alles andere verschwindet. Man kann besuchen, man kann telefonieren, man kann schreiben. man hat soviele bilder und erinnerungen an die menschen in sich, die einem soviel bedeuten. und auch wenn man sich lange nicht sieht, ist das nicht schlimm. man fängt dann einfach wieder da an zu erzählen, wo man das letzte Mal aufgehört hat.

Nur eine Sache gibt es. und die kann niemand ersetzen, die kann nichts gut machen, die wird man jeden tag vermissen, die kann man sich nicht schön reden. die versetzt einem jeden einzelnen Tag in der Ferne einen Stich und macht die Ferne nicht mehr ganz schön. Man kann nicht erleben, wie Kinder aufwachsen, die von Schwestern. die man in der Schwangerschaft begleitet hat, mit der man solidarisch unglaubliche Mengen Häagen Dasz gegessen hat, mit der man 14 Stunden im Kreissaal mitgelitten hat und nach 14 Stunden den kleinen Wurm in den Armen hielt und es gar nicht fassen konnte (dann aber schnell zu mcdonalds düsen musste, weil die schwester dringend einen big mac brauchte). Und dann die Tage und Wochen danach und die ersten Male, die tausend ersten Male, lachen, sitzen, laufen, erste Worte, erster Geburtstag. Viel zu wenig Zeit gehabt, viel zu viel verpasst, aber doch immer da gewesen, um die ecke. die erste Übernachtung bei mir, dieses kleine Wesen, schlafend in meinem Bett und selbst kein Auge zu tun, weil man schauen muss, wie er schläft, die kleinen händchen zu fäusten geballt, manchmal durchzuckt es den kleinen körper und ganz früh morgens, es ist noch dunkel, wacht er auf und blinzelt mit seinen kleinen augen und kuschelt sich an und wacht so ganz langsam auf... und dann mit vollgas in den neuen Tag. es gibt soviel zu erleben und erlernen und zu entdecken.

Und dann geht man weg. und dann ist man nicht mehr um die ecke. kann nicht mehr zuschauen. ist nicht mehr dabei, kann es sich nur erzählen lassen. kann fotos anschauen, kann noch nicht mal mit ihm telefonieren. weil er noch nicht so recht weiß, wie das geht. nur ein bisschen. kann nicht mehr knuddeln und herzen und umarmen und rumblödeln. nur immer mit monaten abstand. die besuche sind viel zu selten. und viel zu kurz. können nicht das alltägliche leben und das alltägliche verpassen wieder gut machen.

Man ist so außen vor. und dann gibt es die geburtstage, die ohne einen stattfinden, die besonderen tage, die erlebnisse und alle technik und weltweite vernetzung helfen nicht. sie können nur bruchstücke von dem zeigen. können nur ein bisschen nah holen, aber schaffen doch keine nähe. es ist nicht möglich, dass er deine hand nimmt, kurz bevor er wieder abreisen muss und dich mit großen blauen augen anschaut und sagt: du hier bleiben. und er meint sich selbst damit, denn er hat noch nicht gelernt, dass er ein ich ist, denn alle sagen ja immer du zu ihm.

Und dieser Moment, in dem ein stückchen von deinem herz bricht und du dich selbst verteufelst für diese entscheidung, wegzugehen, nicht zu erleben, wie er lernt, dass er ein ich ist. und du wieder einmal auf besuch fährst, in das alte WO und nur denkst: du hier bleiben.

m.

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