Sonntag, 31. März 2013

sonntags lesenswert 6

Ich war in meinem Bücherkeller... wollte nur ein paar Bücher suchen für LiLi, damit sie was zu lesen hat in den nächsten vier Wochen, in denen wir einen Plan haben. Und dann saß ich eine Stunde im Keller zwischen meinen Büchern. Herrlich. Wie sehr ich sie doch vermisse. Sollte ich vielleicht doch die eine Wand einfach mit Bücherregalen vollstellen? Vielleicht ein Plan den ich umsetzen sollte.

Eines der Bücher, die mir dabei in die Hand gefallen sind, ist "Verbrechen" von Ferdinand von Schirach, empfohlen von einem guten Freund und einfach ganz groß.

Im ersten Moment, meint man, man hat ein Buch mit Krimikurzgeschichten in der Hand, schließlich ist der Autor Berliner Starfverteidiger und tatsächlich geht es auch in allen Geschichten um Verbrechen.

Aber viel mehr, ist es eine Sozialstudie, ein Beschauen, warum Menschen Dinge tun, was sie dazu führt. Was sie dazu führt zu vertuschen und zu verschleiern, zu Morden, zu stehlen. Die Abgründe des Menschen, die oft, so nah an der Oberfläche sind.

Ich mag seinen Schreibstil sehr gerne, er schreibt, als würde er kurz und knapp berichten und dabei verliert er sich nie, sondern konzentriert sich immer auf das Wesentliche. Wenn er beschreibt, dann immer um einen Menschen zu skizzieren. Nicht um einen leeren Raum zu füllen. Und er skizziert so, obwohl so knapp, dass man den Menschen fast berühren könnte.

Ein kurzes Lesebeispiel:

"Fähner

Friedhelm Fähner war sein Leben lang praktischer Arzt in Rottweil gewesen, 2800 Krankenscheine pro Jahr, Praxis an der Hauptstrasse, Vorsitzender des Kulturkreises Ägypten, Mitgleid im Lionsclub, keine Straftaten, nicht einmal Ordnungswidrigkeiten. Neben seinem Haus besaß er zwei Mietshäuser, einen drei Jahre alten Mercedes E-Klasse mit Lederausstattung und Klimaautomatik, etwa 750 000 Euro in Aktien und Obligationen und eine Kapitalversicherung. Fähner hatte keine Kinder. Seine einzige noch lebende Verwandte war seine sechs Jahre jüngere Schwester, die mit ihrem Mann und zwei Kindern in Stuttgart lebte. Über Fähners Leben hätte es eigentlich nichts zu erzählen gegeben.

Bis auf die Sache mit Ingrid.

-

Mit 24 Jahren hatte Fähner Ingrid auf dem sechzigsten Geburtstag seines Vaters kennengelernt.
(...)
Sie war drei Jahre älter als Fähner, eine handfeste Provinzschönheit mit schweren Brüsten. (...) Die seltsam hohe, metallische Stimme, die keinerlei Modulation zuließ, irritierte Fähner. Nur wenn sie leise sprach, hatten ihre Sätze eine Melodie.
(...)
Die Hochzeitreise ging nach Kairo, es war sein Wunsch. Wenn man ihn später nach Ägypten fragte, sagte er, es sei "schwerelos", auch wenn er wusste, dass ihn niemand verstand. Er war dort der junge Parsifal, der reine Tor, und er war glücklich. Es war das letzte Mal in seinem Leben.
(...)
Fähner arbeitete im Garten. Er war jetzt 72, vor vier Jahren hatte er seine Praxis verkauft. Wie immer war er um sechs Uhr aufgestanden. Er hatte das Gästezimmer - er wohnte schon seit Jahren dort - leise verlassen. Ingrid schlief noch. Es war ein leuchtender Septembervormittag. Der Frühnebel hatte sich zurückgezogen, die Luft war klar und kalt. Fähner jätete mit der Hacke das Unkraut zwischen den Herbststauden. Es war eine anstrengende und eintönige Arbeit. Fähner war zufrieden. Er freute sich auf den Kaffee, den er wie immer in seiner Pause um halb zehn trinken würde. Fähner dachte an den Rittersporn, den er im Frühjahr gepflanzt hatte. Er würde im Spätherbst ein drittes Mal blühen.

Plötzlich riss Ingrid die Terassentür auf. Sie brüllte, er habe schon wieder vergessen, das Fenster im Gästezimmer zu schließen, er sei einfach ein Idiot. Ihre Stimme überschlug sich. Blankes Metall.

Fähner würde später nicht genau beschreiben können, was er in diesem Moment dachte. Es habe in ihm, ganz tief unten, hart und scharf zu leuchten begonnen. Alles sei überdeutlich in diesem Licht gewesen. Gleißend.

Er bat Ingrid, in den Keller zu kommen,... . "

Lesen. Unbedingt. Und dann auch gleich danach das zweite Buch von ihm "Schuld".
Keine leichte Kost, aber welche leichte Kost ist schon wirklich gut?

m.

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